Bewertungen verstellen den klaren Blick auf die Dinge

Das sagte der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer, als er in der Zeitschrift „Psychologie Heute“ (05/2017) zu seinem Buch „Helikoptermoral. Empörung, Entrüstung und Zorn im öffentlichen Raum“ interviewt wurde. Recht hat er!

Als Helikoptermoral kennzeichnet er „übersteigerte ängstliche Aufmerksamkeit und hastige Bewertungen ganz ohne Empathie und den Blick für die Zusammenhänge.“ (S. 12)
Daraus entstünden Diskussionen ohne Interesse am Verständnis eines Problems oder einer Fragestellung, verbunden mit einer schnellen Bewertung, einem Schuldspruch.

Dies ist oft in Paarbeziehungen zu beobachten, aber letztlich auch in unserer gesamten Gesellschaft. Schmidbauer konstatiert,, „dass … durch Bewertungen sehr viel Schaden entsteht.“
Sein Eindruck ist, „dass es generell schwerfällt, Sachen unbewertet zu lassen. Das wäre aber in vielen Situationen das Konstruktivste: dass man erst einmal das Werturteil aufschiebt und versucht, den Kontext zu verstehen.“ (S. 12 f)

Es scheint eine Strategie zu sein, mit Bewertungen daher zu kommen, die Klarheit vortäuschen, aber in Wahrheit den klaren Blick auf die Dinge verstellen. (vgl. S. 13)
„In der Bewertung steckt immer auch die Auffassung: „Ich weiß es besser.“ Oder gar: „Ich bin etwas Besseres.“ … Dadurch demonstriere ich meine eigene Überlegenheit, Stärke und Macht.“ (ebd.)

Ist dies, z.B. in einer Paarbeziehung, der Fall, so wird es zunehmend schwerer, den Problemen auf den Grund zu kommen. Eine tatsächliche Auseinandersetzung mit gegenseitiger Wertschätzung wird mit jeder Bewertung schwerer gemacht; der Raum, in dem eine Lösung möglich sein kann, wird mit jeder Bewertung verengt.

Gleiches gilt aber auch für den öffentlichen Raum, wie es sowohl die Berichterstattung seit knapp zwei Jahren, forciert auch von vielen unserer Politker, aber auch die (Nicht-)Auseinandersetzung im privaten Bereich belegen.
Da gibt es schnelle Bewertungen in alle Richtungen; die Folge davon ist die Spaltung und Trennung der Menschen mit unterschiedlichen Einstellungen und das Herabwürdigen Andersdenkender.